Wir assoziieren das Wort „positiv“ mit „gut“ oder „erfreulich“. Eine positive Einstellung ist lebensbejahend. Der Optimist kommt in der Gesellschaft gut an. Ein Pessimist stößt hier schon eher an seine Grenzen.
Ist eine positive Einstellung erlernbar? Wer bereits mit positiven Genen zur Welt gekommen ist, hat voraussichtlich ein Leben lang etwas davon. Er strahlt seine positive Energie, die er sich nicht aneignen musste, an seine Freunde und Mitmenschen aus. Selbst schwierige Situationen scheinen für ihn leicht überwindbar zu sein. Doch solch wünschenswerte Eigenschaften sind nicht jedem gegeben.
Pessimismus zieht sich sehr auffällig wie ein Schatten durch unsere Gesellschaft. Die positive Seite besteht darin, dass ein gesunder Pessimismus durchaus hilfreich sein kann. Und längst nicht alles Positive entwickelt sich zum Besten. Der positive Gedanke, der schnell Anerkennung findet, könnte eventuell Negatives bewirken, während sich eine negativ wahrgenommene Äußerung ins Positive wandeln kann. Die Relation wird hier deutlich.
Unsere Gedanken bewegen sich zwischen diesen beiden Polen. Wir suchen stets nach einem optimalen Ergebnis. Doch manches Mal entsteht ein Konflikt, und ein positives Ergebnis wird überschattet von Zweifeln oder Ängsten. Der denkende Geist findet keine dauerhafte Lösung.
Hier bietet Patañjali in seinem Yogasutra ein ideales Konzept. Das unüberwindbare Problem lässt sich nicht auf kognitiver Ebene lösen. Der in Konflikt geratene, denkende Geist soll vielmehr zur Ruhe kommen, statt unablässig zu grübeln. Patañjali weist darauf hin, wie wirksam das Ruhen der Zerebraltätigkeit ist, ganz gleich, welche Art von Gedanken sich im Geiste bilden, ob positiv oder negativ. Die psychomotorische Unruhe zerebraler – auch emotionaler – Art wird mit Hilfe wirksamer Übungen in den Zustand des Yoga geführt.
Ein Zustand, in dem alle unruhigen Bewegungen des Bewusstseins zur Ruhe gekommen sind, wird Yoga genannt – ein Energiezustand, den wir durch eigenes Bemühen erreichen sollten.
Der Geist ist während einer solchen Ruhephase trotzdem nicht untätig. Durch die Präsenz des Beobachters gelingt es, den entspannten Zustand des Nervensystems aufrechtzuerhalten. Da unser Körper nervengesteuert ist, erholt sich der komplexe Körper bis in die Tiefen der Gehirnzentren. Es regenerieren sowohl Muskeln als auch unsere Geistfunktionen. Auf diese Weise bilden sich Gedanken mit starker Durchsetzungskraft wie von selbst. Das Ergebnis könnten wir positiv nennen. Doch wer sich im Zustand eines entspannten Geistes befindet, definiert das Ergebnis weder positiv noch negativ.
Ein genervter Geist kann zwar einen positiven Gedanken aussprechen, doch an dessen Umsetzung wird es mangeln. Ein zentrierter Geist hat sich durch seine Bemühungen den Abstand vom Zwang des Denkens selbst erschaffen. Nicht mehr die Gedanken haben uns unter Kontrolle, vielmehr kontrollieren wir unsere Gedanken. Ausschließlich gedankliche Bewegungen, die wirklich zu uns gehören, sind energetisch. Während Gedanken, die aus der Unzufriedenheit oder dem Wunschdenken entspringen, uns irritieren. Ein wahrer positiver Gedanke steht uns bis zu seiner Verwirklichung zur Seite und fällt nicht schon in Kürze zurück in den Zweifel.
Der eigenverantwortliche Umgang mit psychomotorischen Bewegungen ist nicht jedem gegeben. Doch er ist zumindest teilweise erlernbar. Während solcher Lernprozesse lassen wir los, verarbeiten Vergangenes und kreieren unsere Zukunft. Wir bauen Aggressionen ab, und es entsteht Frieden.