Yoga ist keine Meinung

Yoga ist Satya, die Wahrhaftigkeit. Damit wir Satya erfahren können, ist der Zustand des Yoga die Voraussetzung. Denn nur dann befinden wir uns nicht mehr primär im denkenden Geist, der dem Sympathikus zugeordnet ist, sondern im wahrnehmenden Geist, der sich durch den Parasympathikus ausdrückt. Gedanken sind also auf diesem Nervenniveau nicht möglich, und nur auf diese Weise bleibt uns die ungetäuschte Wahrnehmung erhalten. Der Parasympathikus lässt jede Form von Denken hinter sich. Es gibt auf dieser Ebene weder eine Meinung noch eine Vorstellung.

Viele Formen des Denkens wie zum Beispiel Meinungen, Erinnerungen, Vorstellungen oder Wünsche, auch positives wie negatives Denken sind Gehirnfunktionen, die dem Sympathikus zugeordnet werden. Wer Yoga gewissenhaft ausführt, gelangt direkt in den Nervenpart, der es ermöglicht, einen Ausgleich zu erreichen. Dabei kann es durchaus, je nach Engagement, bis zu einem karmischen Ausgleich kommen. Die Bewältigung des Karmas ist auf lange Sicht das große Ziel. Der Weg ist zwar das Ziel, wie man so sagt, doch auf Dauer reicht das leider nicht.

Wenn der Geist zur Ruhe kommt

Um unserem Karma nicht länger auszuweichen, nehmen wir Kontakt mit dem ausgleichenden Parasympathikus auf. Pantanjali nennt es „Yoga – Chitta – Vritti – Nirodha“, wörtlich: Yoga ist jener Zustand, in dem die unruhigen Bewegungen des Geistes zur Ruhe gekommen sind. Und erst wirklich dann, wenn es uns gelingt, in diesen Zustand zu kommen, entsteht ein anhaltender Ausgleich. Dieser bedarf jedoch ständiger Kontrolle, damit wir die Nerveneinflüsse auf ihre Wirksamkeit überprüfen und konstant erhalten können (kanalisieren).

Im normalen Leben finden derartige Entspannungsprozesse nachts in den Tiefschlafphasen statt. Die lebensspendende Atmung, die nicht mehr länger durch nervöse Gedankeneinflüsse gestört wird, entwickelt eine schöpferisch energetische Sauerstoffzufuhr mit gleichzeitigem CO2-Ausstoß. Das gelingt ausschließlich dem wahrnehmenden Geist. Dieser ist nachts dem Unterbewusstsein zuzuordnen. Das Nervensystem versorgt sich kontinuierlich, ohne Verluste, selbst. Nahrung, die nicht konsumiert werden kann! Das Unterbewusstsein übernimmt die Kontrolle der erholsamen Nervenprozesse. Gedanken, die es doch schaffen, sich durchzusetzen, werden als lästige Störung wahrgenommen. Das ist eine klare Aussage darüber, wie gedankenfrei der Parasympathikus tatsächlich ist. Das Nervensystem kommt also für derartige Erholungsprozesse sehr gut ohne Gedanken aus.

Das Denken ist begrenzt

Das Problem besteht nun darin, sich im Tagesverlauf so zu verhalten, dass nachts oder in der Yogastunde (Meditation) der heilsame Plan des Körpers umgesetzt werden kann. Wahrhaftigkeit (Satya) wirft ein Licht auf den Zustand, auf das Symptom, aber auch auf den Gedanken, der ebenfalls wertfrei vom Parasympathikus angeschaut werden kann, und zwar so lange, bis sich das heilsame Nervensystem vollständig durchgesetzt hat. Bis dahin ist während des Yogaprogramms unsere volle Beobachtungspräsenz erforderlich, damit unsere Nerveneinflüsse nicht irgendwelche fehlgeleiteten Symptome erzeugen. Darum hat Yoga keine Meinung, oder anders gesagt: keinen Gedanken. Und diese Ansage ist nicht nur Grundlage des gesamten Yogasystems, sondern sollte dringendst auch außerhalb des Yoga, in Schulen, politischen oder wirtschaftlichen Einrichtungen, Einfluss nehmen. Denn: Das Denken ist begrenzt.

Ich halte es für zeitgemäß, Transparenz in die bisher oftmals so schwierigen geistigen Zusammenhänge zu bringen. Leichter wird ein effektives Yogaprogramm dadurch nicht, aber es wird verständlicher und damit erfolgreicher. Üben lässt es sich immer irgendwie, leider oft auf Kosten der Nachhaltigkeit, auf die es im Yoga gerade ankommt. Schließlich wächst die Bedeutung yogischer Bemühungen für uns alle mit fortschreitendem Alter. Die Yogapraxis in jungen Jahren ist relativ einfach, und viele sind begeistert. Wesentlich ist es dann, dem Yoga treu zu bleiben, um die Wurzeln, die sich in jungen Jahren gebildet haben, bis ins hohe Alter stabil und flexibel zugleich zu erhalten. Das gilt sowohl für den Körper als auch für die Seele und den Geist.

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