Wer sich mit den Hintergründen der philosophischen Essenz Stille ist Kunst ausführlicher befassen möchte, findet hier eine Reihe von Erläuterungen.
Stille ist Kunst
Stille lässt sich von Geräuschen deutlich unterscheiden. Willkürlich erzeugter Lärm oder Krach, der uns belästigt, Lärm, der aus aggressivem Verhalten erwächst, nicht selten bewusst eingesetzt, um Aufmerksamkeit zu wecken. Aber auch die ganz normale Geräuschkulisse des Straßen- oder Flugverkehrs. Lärmbelästigung aus der Nachbarschaft. Aggressive Menschen, die poltern, schreien und aufdrehen. Unausgeglichene Nerven haben schnell ein Ruheproblem. Die Welt ist nicht ruhig, sie ist laut. Menschen fällt es nicht leicht, zur Ruhe zu kommen. Aus dieser Sicht ist das Laute fast ein Normalzustand.
Ruhigwerden hingegen setzt eigenes Bemühen voraus. Aus der Ruhe wiederum kann Stille hervorgehen. Dabei geht es nicht nur darum, keine Geräusche mehr zu erzeugen, vielmehr ist hier ein zur Ruhe gekommener Geist gemeint, der seine inneren Aggressionen gegen sich und andere reduziert hat.
Wir können meditieren, während sich zerstörerische Emotionen und Gedanken geradezu potenzieren. Stille ist Ausdruck ausgeglichener, kontrollierter Nerven. Das ist eine hohe Kunst. Damit verhalten wir uns von innen heraus wohlgesonnen uns selbst und selbstverständlich anderen gegenüber. Stille bildet sich durch unsere lebenslange Arbeit an uns selbst und schafft energetische Seinszustände mit einer enormen Ausstrahlung. Und es geht nicht nur um Zustände von kurzer Dauer, wie sie sich gelegentlich zufällig einstellen. Die Ewigkeit ist ein Dauerruhezustand. Wer nicht gelernt hat, innerlich still zu werden, wird es weder nachts schaffen noch in der Ewigkeit.
Wahrnehmung ist Stärke
Menschen reagieren selten gelassen. Das hat seine Gründe: Unreflektiert und aus einer mangelhaften Wahrnehmung heraus handeln Menschen oft sehr ichbezogen. Angestaute Aggressionen und unverarbeitete Emotionen führen schnell zu aggressivem Verhalten. Der Grad der Verletzbarkeit bestimmt die Reaktionsweise. Die unbewusste Unsicherheit, jemand könne mich kritisch beobachten, ruft in mir das Gefühl hervor, mich wehren zu müssen. Ist dieses Gefühl dauerhaft latent vorhanden, geschieht genau das, was ich nicht möchte. Das ist sehr oft der Fall, im Straßenverkehr, in der Öffentlichkeit, in Gruppen, einfach aus dem Nichts heraus und völlig unerwartet. Und genau das wird gefürchtet. Gerade die Erwartung, jederzeit verletzt werden zu können, führt zwangsläufig dazu, verletzt zu werden („Was guckst du?“).
Dieser Zustand beherrscht die Welt. Von Stille kann hier nicht die Rede sein. Yogageübte sind keineswegs emotionsfrei, doch eine geübte Yogini oder ein geübter Yogi geht mit ihren bzw. seinen Aggressionen im täglichen Leben deutlich reflektierter um. Die Reaktionen kommen wesentlich selbstloser und friedlicher zum Ausdruck als in einer Gruppe ungeübter Mitmenschen. Bewusstsein kann man sich nicht vornehmen. Es entsteht durch jahrelanges Üben an sich selbst. Ein stabiles Nervensystem, das kontinuierlich ausgeglichen worden ist, hält eher aggressivem Verhalten stand. Wer weiß, wer er wirklich ist, begegnet Verletzungen, die weh tun, mit einem stärkeren Selbstbewusstsein und bleibt auf diese Weise bei sich. Auch das ist ein relevanter Aspekt der Stille. Wahrnehmung ist Stärke.
Gedanke ist Illusion
Das Leben scheint fast ausschließlich aus Gedanken zu bestehen. Warum sollten Gedanken dann illusorisch sein? Das lässt sich folgendermaßen erklären: Gedanken, die in uns entstehen, sind schnell mit Emotionen behaftet. Bin ich glücklich, so entstehen scheinbar positive Gedanken. Bin ich im Stress, entstehen oft negative Gedanken. Bin ich eifersüchtig, so werden entsprechende Gedanken entstehen. Ähnlich wird das Verfahren bei Zufriedenheit oder Leid sein, bei Hass oder Ausgeglichenheit, bei Hunger, Gier oder Genügsamkeit.
Wir sehen also, wie relativ ein Gedanke ist. Wo ist der wirklich bedeutsame Gedanke, der eine definitive Aussage machen kann? Es gibt ihn nicht. Denn das Gefühl wird stärker sein als die Vernunft. Damit setzen wir uns im Yoga täglich auseinander. Solange es kein Gefüge gibt, das uns lenkt, machen wir, was uns in den Sinn kommt, koste es, was es wolle. Gedankenkraft ist das Resultat eines stabilen Charakters. Auf dieser Ebene eines gereiften Bewusstseins verwirklicht sich ein gesunder kraftvoller Gedanke, der alle Zweifel und Emotionen bis zu seiner Verwirklichung durchsteht. Doch bis dahin sind Gedanken mit vielen Illusionen behaftet.
Vorstellungen sind Gedanken, die nicht der Wirklichkeit entsprechen und sich folglich nicht verwirklichen lassen, jedenfalls nicht so weit, dass sie uns glücklich machen. Eine gewisse Illusion begleitet jeden Gedanken. Dass Gedanken zur Ruhe kommen, ist nach Patanjali die Grundvoraussetzung dafür, dass wir die Wirklichkeit erkennen und unsere Illusionen loslassen. Ohne den wahrnehmenden Einfluss unseres Bewusstseins bleiben Gedanken begrenzt. Die verführerische Art unserer Vorstellungen verleitet uns zu oft dazu, das, was wir denken, absolut zu setzen und für unfehlbar zu halten. Patanjali spricht von Kleshas und Dukha, die leidvollen Spannungen, die das Resultat von Illusion und Begrenzung sind.
Dennoch kommen wir ohne Gedanken nicht aus. Doch sie sollten klar, überlegt und befreiend sein. Gedanken, die nicht zur Ruhe kommen, verhalten sich wie Schwarze Löcher im Universum. Der Sog unkontrollierten Denkens führt uns Menschen in einen Mangel an Bewusstsein, der nur durch höhere Mächte ausgeglichen werden kann.
Bewusstsein macht weit
Diese Tatsache bedarf im Prinzip keiner weiteren Erläuterung. Jeder von uns verfügt über ein Bewusstsein. Dabei kann es auf sehr unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht werden. Ganz gleich, mit welcher Qualität auch immer sich ein Bewusstsein darstellt, für eine Erweiterung des Horizonts in uns selbst sollten wir generell offenbleiben. Ein starkes Bewusstsein lässt sich berühren, lässt Meinungen anderer zu und kann emotionalen Verletzungen mit innerer Stärke begegnen. Weiterhin kann ein erweitertes Bewusstsein Fasten oder Schweigen zulassen. Erweiterungen des Bewusstseins sind vergleichbar mit einer Glühbirne, die statt mit nur 30 Watt nun mit 100 Watt Licht ausstrahlt und uns dadurch weiter und erkenntnisreicher schauen lässt.
Loslassen bringt Freude
Reduzieren wir Prozesse des Loslassens auf ein ganz alltägliches Bedürfnis, hängt unser Wohlbefinden entscheidend davon ab, wie gründlich unsere Stoffwechselprozesse den Körper von belastenden, toxischen Säuren und Schlacken befreien können. Zu den Ausscheidungsorganen zählen der Darm, die Blase (Nieren filtern das Blut), die Lunge (CO2) und die Haut mit ihren Poren. Die grobstofflichen Stoffwechselprozesse stehen in direkter Verbindung mit den feinstofflichen Ausscheidungsvorgängen.
Insbesondere trägt ein ausgeglichener Seelenzustand extrem zu einem effizienten grobstofflichen Stoffwechsel bei. Auch emotionale Ausgeglichenheit (Resilienz) und nicht zuletzt die Fähigkeit, Gedanken zur Ruhe zu bringen, haben erheblichen Anteil daran, sowohl den Körper als auch die Psyche von Ablagerungen zu reinigen. Nur dann kommt Freude von innen, die dann auf eine sehr natürliche Weise ausgestrahlt werden kann. Yoga und seine Verhaltensregeln bilden die Grundlage, um mit Asanas, Pranayama und Meditation erfolgreich zu sein. Wir werden nicht flexibler, solange der einflussreiche, subtile Seelenzustand Toxine an unsere Körper bindet. Ohne Überwindung gibt es keinen Fortschritt. Yoga wirkt durch die Heilkraft erfolgreicher Überwindungsprozesse. Dann werden wir sagen können: Alles wird gut.
Bildquelle: Pixabay
Robbe: Susanne Jutzeler, suju-foto; Landschaft: enriquelopezgarre; Blume: pasja1000; Weidenkätzchen: Mammiya