Unser Geist – Denken und Wahrnehmen

Das menschliche Gehirn kann nicht nur denken. Es verfügt neben seinem intellektuellen Geist auch über einen wahrnehmenden Geist. Ein Intellekt, der nicht zur Ruhe kommen kann, überschattet den spirituellen wahrnehmenden Geist und hindert diesen daran, seine grenzenlosen Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Gedanken sind dem Sympathikus zuzuordnen, jenem Teil des Nervensystems, der für die Aktivitätssteigerung zuständig ist.

Wir denken, wenn wir wach sind. Kontrolliertes Denken, kreatives Denken, konzentriertes, positives oder negatives Denken sind einige der vielfältigen Funktionen des denkenden Geistes. Dabei kommt es sehr darauf an, wie geschickt wir mit unseren eigenen Gedanken umgehen, um letztlich zu einem konstruktiven Ergebnis zu gelangen.

Im Yoga wird so eine Umgangsweise Jnana-Yoga genannt, eine sehr wirksame Stufe des Yogapfades. Gedanken werden solange beruhigt, betrachtet und letztlich gefiltert, bis sich eine befreiende Veränderung in Psyche und Körper deutlich spürbar wie von selbst einstellt. Dabei geht es nicht nur um die gedanklichen Inhalte, sondern vor allem um die Reduzierung der Gedankenvielfalt. Alles, was wir in uns konstant und ungestört über längere Zeit wahrnehmen können, wandelt sich.

Wie ordnet man das Durcheinander der Gedanken?

Tatsache ist nun, dass wir denken, und da stellt sich die Frage, in welcher Weise wir unsere Gedanken lenken sollen. Konstruktiv oder destruktiv, ichbezogen oder selbstlos, liebevoll oder hasserfüllt? Der Satz „Wir sind, was wir denken“ gehört zu den höchsten Erkenntnissen. Jeder möchte selbstverständlich positiv denken.

Leider fällt die Bilanz trotz ständiger Bemühungen nicht immer gut aus. Für jene, die das ändern wollen, bietet sich ein Prozess an, den man lernen kann, der aber ein Leben lang praktiziert werden will. Was wir dazu brauchen, ist Selbsterkenntnis. Anders ist es nicht möglich, einen ausgleichenden Einfluss auf unsere Denkweise auszuüben. Das hört sich zunächst sehr schwierig an. Doch lebenslange Prozesse sind niemals leicht. Der Umgang mit Nahrung gehört zum Beispiel auch dazu, und dieses Thema ist nicht minder schwierig.

Einfach ist das Ordnen unserer Gedanken wirklich nicht. Denn zu schnell kann es passieren, dass wir dabei oberflächlich vorgehen, und zu gerne gewinnt in diesem Auswahlverfahren das Ego, indem es den falschen Gedanken für den richtigen hält. Die Voraussetzung für den sinnvollen Umgang mit unseren Gedanken ist, dass wir uns einen differenzierten Überblick über unsere eigenen Denkstrukturen verschaffen. Was ist zu tun?

Erste Voraussetzung: die Gedanken zur Ruhe bringen

Ein erster fundamentaler Schritt wäre die Anwendung des ersten Sutras nach Patanjali: „Citta Vritti Nirodha.“ – „Die unruhigen Bewegungen im Bewusstsein müssen zur Ruhe kommen.“ Und zwar ganz gleich, welcher Art sie sind. Ob positive, negative, traurige oder erfreuliche Gedanken, ob Erinnerungen, Vorstellungen, Meinungen oder Wünsche. Dieser Ruhezustand des Bewusstseins wird Yoga genannt. Er bietet die grundlegende Voraussetzung für eine intelligente Betrachtungsweise, die durch keinen Gedanken mehr behindert werden kann. Diese Arbeit gehört zu den Funktionen des Parasympathikus, dem Teil des Nervensystems, der für Ruhe und Regeneration sorgt.

Anatomisch gesehen tritt die Hypophyse/der Hypothalamus in einen Bewusstseinszustand ein, in dem das bereits vorhandene, aber noch unbewusste Wissen über körperlich-geistig-seelische Zusammenhänge in die bewusste Wahrnehmung gehoben wird. Einfacher gesagt, wir spüren mehr. Aufgrund verbesserter Nervenfunktionen und Nervenverbindungen könnten wir jetzt eine bewusste Veränderung zum Beispiel von der An- zur Entspannung vornehmen. Oder wir bearbeiten das aktuelle Defizit oder womöglich eine Phobie.

Wahrnehmen statt denken

In diesem ruhenden Wachzustand agieren nicht mehr die Gedanken. Der Beobachter, Chef der obersten Nervenzentrale (Atman) kann nicht denken, und wo keine Gedanken sind, entwickeln sich die reinen Wahrnehmungsfunktionen klar und erfolgreich. Der Beobachter kann nun präzise die noch vorhandenen Gedanken wahrnehmen, sie auswerten oder gar nicht erst zulassen. Denn für eine Regeneration – und damit kennt sich der wahrnehmende Geist so gut aus wie kein anderer – wirken unruhige Gedanken, gleich welcher Art, kontraproduktiv. Unbefriedigende Ergebnisse würden sich einstellen.

Ohne differenzierte Wahrnehmung entstehen lästige Irritationen, die man hätte verhindern können. Leider ist dem wahrnehmenden Geist noch kein IQ zugeordnet worden. Daraus lässt sich schließen, wie der Mensch seine Prioritäten setzt. Durch „Citta Vritti Nirodha“ erfährt der denkende Geist gleichzeitig eine tiefe Erholung, sodass Denkprozesse – wie etwa die Erinnerung, problemloses, fließendes Sprechen oder auch die Entscheidung, gar nicht sprechen zu müssen – kontrollierter funktionieren.

Aber mehr noch. Auch weitere Wirkungen von Wahrnehmungsprozessen, die hilfreichen Einfluss auf unser Leben haben, zum Beispiel richtig reagieren, klar unterscheiden oder sich durchsetzen, gehören mit zu den positiven Ergebnissen der Bemühungen im Geiste.

Die Flexibilität, die im Geist entsteht, überträgt sich auch auf Muskeln und Organe, das heißt, sie hat einen umfassenden Einfluss auf unsere Gesundheit.

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